6. Umstrukturierung zum Verband
Mit der Ausweitung der Aktivitäten und - damit einhergehend - der Vergrößerung der Einrichtungen sowie des Personalkörpers des Vereins stellte sich zunehmend heraus, dass die bisherige Stärke des Vereins – seine dezentrale Struktur und die Gewährung großer Freiräume für die Initiatoren vor Ort – auch ein Problem wurde. Nachdem ich 1994 – damals Präsident des Landgerichts Kaiserslautern - als Nachfolger von Werner Lintz zum Vorsitzenden gewählt wurde, musste ich erkennen, dass der Verein zentral kaum zu überblicken und nur unter Schwierigkeiten zu verwalten war. Auch der langjährige Mitarbeiter, Kriminaloberrat i.R. Günter Kraft aus Kaiserslautern, stellte bei seiner permanenten Rechnungsprüfung zunehmend fest, dass die vielfältigen Vereinsstrukturen eine zentrale Verwaltung kaum mehr duldeten. Bei mehr als 35 verschiedenen Einrichtungen in der Pfalz und in Worms, bei einem Finanzvolumen von ca. 10 Millionen DM und einem Personalbestand von über 100 Personen war diese Erkenntnis nicht verwunderlich.
Spätestens Mitte des Jahres 1997, als Hauptgeschäftsführer Schüler – der Motor und beste Kenner der Strukturen des Vereinsgeflechtes -, der sich seit seiner Pensionierung im Jahre 1989 voll und ganz „seinem“ Verein gewidmet hatte, gesundheitsbedingt ausscheiden musste, waren grundlegende Maßnahmen unumgänglich. Schüler hatte zwar einen hauptamtlichen Verwaltungsleiter angestellt und versucht, diesen in die Geheimnisse des Vereins einzuführen, damit er fortan zusammen mit dem Stellvertretenden Vorsitzenden, dem Bewährungshelfer Anton Bauer, den Verein leiten könne. Mit einem Austausch von Personen waren die Probleme aber nicht zu bewältigen. In eingehenden, jahrelangen, offenen und kreativen Diskussionen mit allen Funktionsträgern und dem Personal reifte schließlich die Erkenntnis, dass die vielfältigen Einrichtungen vor Ort nicht nur – wie in der Vergangenheit - die Freiheit zum Handeln haben sollten, ihnen vielmehr zukünftig auch die Verantwortung hierfür übertragen werden musste. Das Motto lautete: Wer handelt, muss hierfür auch die Verantwortung tragen, auch und vor allem für die Finanzierung!
Da naturgemäß nicht jede kleine Einheit verselbstständigt werden konnte, kam es zur Gründung von vier Bezirksvereinen - je Landgerichtsbezirk einer - und der Umwandlung des bisherigen Zentralvereins zu einem Dachverband, dem „Verband der Pfälzischen Straffälligenhilfe e.V.“ am angestammten Sitz in Zweibrücken.
Der Jahreswechsel 2000/01 war ein historisches Datum: Die vier neuen Bezirksvereine wurden „in die Freiheit entlassen“ und großzügig mit Vermögen ausgestattet. Sie erhielten – neben den Immobilien und dem Inventar ihrer Einrichtungen einschließlich der Fahrzeuge - jeweils eine angemessene „Mitgift“ aus den bisherigen Vereinsrücklagen. Das Personal ging - außer einer Halbtagskraft und einer Geringbeschäftigten, welche die Verbandsgeschäfte führen – auf die Vereine über. Mich befiel in dieser Sekunde ein Gefühl der Erleichterung darüber, dass die Verantwortung für alle Vereinsgeschicke zukünftig nicht mehr allein auf den schmalen Schultern des Vereinsvorsitzenden und seiner Vorstandskolleginnen und -kollegen in Zweibrücken ruhte.
Die Vorstände der neuen Bezirksvereine führten von nun ab sowohl ihre Aktivitäten als auch ihre Verwaltungsgeschäfte und ihre Kassen selbstständig und eigenverantwortlich. Der aus dem alten Zentralverein hervorgegangene Verband, in dessen Vorstand und Mitgliederversammlung die Vorstände der Bezirksvereine vertreten sind, hat die Funktion einer Klammer nach Innen und des Sprachrohrs nach Außen, in das Ministerium der Justiz, zu Verbänden und gegenüber der Öffentlichkeit. Wesentliche Aufgaben des Verbandes sind außerdem die Koordinierung und Weiterentwicklung der verschiedenen Aktivitäten, die Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen, Öffentlichkeitsarbeit und die Beratung der Vereine bei ihren täglichen Sorgen und Nöten.
Diese neue Vereinsstruktur hat sich voll und ganz bewährt. Die Bezirksvereine haben sehr kompetente und leistungsbereite Vorstände und auch Beiräte gebildet, die aus sachkundigen, sozial engagierten Personen bestehen. Hier gelang es, neues ehrenamtliches soziales Engagement zu gewinnen. Auch weitere Richter und Staatsanwälte waren bereit, Verantwortung zu übernehmen. Damit ist allgemein der Zugang zur Richterschaft und den Staatsanwälten verbessert worden und die kürzer gewordenen Wege haben sich positiv ausgewirkt.